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Die Theorie der HBF

1.Der funktionelle Gesichtspunkt
2.Der Positionalitätsbegriff
3.Gehirn-und Bewegungsfunktion
4.Prüfung biomechanischen Prinzipien

3.Gehirn- und Bewegungsfunktion

Auffassungen über eine modulare Organisation des Gehirns sind in der Mode. Wir folgen dieser Mode jedoch nicht.

Israel Rosenfield („De uitvinding van het geheugen: een nieuwe visie op de hersenen, SUN Nijmegen 1991" ) schreibt: „Viele, wenn nicht sogar die meisten Psychologen und Neurowissenschaftler, sind heutzutage davon überzeugt, dass das Gehirn aus gesonderte funktionelle Einheiten – Modulen genannt – besteht, die wohl oder nicht anatomisch lokalisiert sind" (S. 88), sodass „unser Gehirn Aufgaben...bewältigt, indem es versucht viele voneinander unabhängige Probleme zu lösen, die dann alle zusammen die allgemeine Aufgabe formen." (S.124). „Sie haben es fast geschafft, ein Dogma zu kreieren." (S.23).

1970 dachte J.J.G. Prick noch (Nederlands Handboek der Psychiatrie, Band 4, Van Loghum Slaterus), dass dies ein bereits überwundener Standpunkt wäre. „Die Einsichten...in Bezug auf die funktionelle Lokalisationslehre der Hirnrinde sind in der heutigen Zeit überwunden worden. Allgemein wird jetzt anerkannt, dass in der Hirnrinde keine psychischen und körperlichen Leistungen „lokalisiert" sind; und weiter, dass sie als solche nicht existieren" (S. 357). „Wir haben schon öfters erwähnt, dass die menschliche Existenz seine eigene zerebral-physiologische Organisation „macht"...." (S. 364)

Es gibt heute drei Untersuchungsbereiche, in denen die Modularitätshypothese wieder aus der alten Kiste zum Vorschein gekommen ist:

1. Die klinische Untersuchung von spezifischen Funktionsverlusten bei Gutumschriebenen Gehirnschädigungen.

2. Die Untersuchung bei der die Metapher „Das Gehirn als Computer" (früher: Dampfmaschine, Telefonzentrale, usw.) als vereinfachte und geeignete Beschreibung für die wirkliche Funktion des Gehirns gebraucht wird.

3. Der Gebrauch von modernen Gehirn Scantechniken, wie PET und fMRI, um die Stellen im Gehirn zu finden, in denen Bewegungs- und Wissensfunktionen „lokalisiert" sein sollten.

Eine Anzahl der bereits vorher genannten Gehirnforscher legen dar, dass die vielfach umarmte Modularitätshypothese nicht richtig ist. Es ist noch nicht sehr lange her, im Dezember 1999, dass der Amsterdamer Professor der Neurobiologie, F.H. Lopez da Silva, vor diesen Auffassungen warnte (NWO/Huygens Lectures, Den Haag) und „auf dem Hintergrund dessen den Geist der alten Phrenologie wieder aufkommen" sieht (S.27).

Wenn es sich um das vitale Verhalten handelt, dann schließen wir uns an die Theorien von G.M. Edelman an.

(Nach dem ersten Versuch im Jahre 1978, folgten weiter:

1987 "Neural Darwinism",(Unser Gehirn-ein dynamisches System.)

1989 "The remembered present",

1991 "Bright air, brilliant fire: on the matter of the mind" und

2000 (zusammen mit G. Tononi) "A universe of consciousness". (Gehirn und Geist, wie aus Materie Bewusstsein entsteht).

Wir wiederholen hier den Satz, den wir bereits bei der Beschreibung des funktionellen Gesichtspunktes niedergeschrieben haben:

„Durch völlig unbewusste körperliche Erfahrungen, die primär Antworten auf evolutionär heraus selektierte Lust- und Unlustmustern geben, hat das Subjekt in seiner Umgebung bestimmte vitale Werte und Bedeutungen entdeckt und festgelegt."

Edelman spricht dabei von „global mappings", die im Gehirn geformt werden; „Global mappings" übersetzen wir mit „verwaltende Kartenkonfigurationen". Das sind unteilbare, komplexe Netzwerken, an denen immer Zellgruppen überall im Gehirn beteiligt sind; sowohl in der Kortex, als auch in das Mittelhirn, das Cerebellum und Kerne des Hirnstamms. Essentiell sind dabei die zahlreichen, wechselseitigen Verbindungen zwischen all diesen Zellgruppen. Edelman nennt das „reentry". Das Wichtigste dabei ist, dass Wahrnehmung und Bewegung in diesen verwaltenden Karten unlösbar miteinander verbunden sind. EIN funktionellen dynamisch System, in dem einerseits das wahrnehmen lernen von Bewegungsfunktionen abhängig ist und andererseits das Wahrgenommene die Bewegungsspezifikationen bestimmt.

(Es ist zwar und sogar notwendigerweise die Rede von manchmal deutlich lokalisierten Funktionsspezialisierungen in den teilnehmenden Gruppen. Aber es besteht hier kein einziger direkter Zusammenhang mit Verhaltensformen. Die Spezialisierungen können nur dann zu einem Verhalten führen, wenn sie wechselseitig mit allen anderen spezialisierten oder nicht spezialisierten Gebieten verbunden sind, die ein Teil der betreffenden verwaltenden Karte sind. Die Spezialisierungen sind also keine Verhaltensmoduln; das heißt, sie bilden nicht abgesonderten Verhaltensstückchen eines Puzzles, die, wenn sie gut miteinander verbunden sind, zusammen ein spezifisches Verhaltensbild zum Vorschein bringen.)

Die verwaltenden Gehirnkarten spielen in der Theorie der HBF eine große Bedeutung, da sie beim Lernen der unzähligen Haltungs- und Bewegungsfunktionen, die wir täglich ausführen, wie gehen, das Gleichgewicht halten, bücken, greifen, tasten, Fahrrad fahren, usw., geformt wurden. Nach dem Lernprozess ist in diesen Karten das gesamte Verhaltensmuster festgelegt.

Die Abstimmung aller kinetischen Funktionsaspekten aufeinander ist festgelegt, gleichzeitig mit und Antworten gebend auf Umgebungsaspekte, die von Interesse sind, sodass das Verhältnis zwischen dem Körper und der Umgebung gleichsam ein symbiotisches Ganzes sein kann. Die Wahrnehmung ist dabei nicht mehr analysierend (also nicht das hier und das da) und sicherlich nicht bewusst. Was in einem Blitz wahrgenommen wird, ist nicht so sehr die Struktur der Umgebung an sich, sondern die dazu passende Körperhaltung.

In seinem letzten Buch („A universe of consciousness" S. 186 ff.) betont Edelman, dass die betreffenden Gehirnkarten, nach dem bewusst begleitenden Lernprozess, nicht länger einen Teil der komplexen thalamisch-kortikalen Clusters, die an der Basis der Bewusstseins Erfahrungen liegen, ausmachen. Sie sind so in den Kernen des Mittelhirns und im Cerebellum festgelegt, dass sie von dort aus aktiviert werden können. Sie sind auf diese Weise vom Bewusstseinsniveau isoliert („insulated"). Die Routine kann deshalb völlig unbewusst ausgeführt werden, sobald sie von einer Bewusstseinsintention aus hervorgerufen wird.

( In „Neurowetenschappen, een overzicht" von B. van Cranenburgh, 1997, wird dieselbe Isolation besprochen. Auf S.153: „Bei der erwachsene Mensch spielt das Paläoniveau (vor allem die Basalen Kerne, S. 93) eine wichtige Rolle bei Routine: komplexe Verhaltensmustern die gedankenlos ausgeführt werden können." Er spricht auf S. 168 (vorher bereits auf den Seiten 93 und 96) über „Mustergeneratoren" in den basalen Kernen, die für komplexe, automatisierte Handlungen zuständig sind. Besonders in Bezug auf das (viele Kernen umfassende) Striatum, sagt er auf S. 272: „Die Projektion des menschlichen Körpers auf die primäre motorische Rinde ist hier in gewissem Maß zurück zu finden. Die kortikale Organisation geht also im Striatum nicht verloren." Und was die kinetische Abstimmung der Routinehandlungen betrifft, so bemerkt er (S. 168): „Auf dem niedrigsten (spinalen) Niveau sind allerlei viel gebrauchte „Verbindungen" bereits fertig vorhanden: koordinative Strukturen.")

Edelman schreibt darüber („A universe of consciousness“ S.188): „Die resultierende funktionelle Isolation ist natürlich ideal, damit neuronale Interaktionen binnen der betreffenden Kreisen optimal verlaufen, dank der Tatsache, dass diese Interaktionen sich vom Rest des Gehirns abgenabelt haben."

Bei einer persistierenden exzentrischen Positionalität wird die funktionelle Isolation angegriffen und damit verschwindet die erreichte Optimalisierung. Es wird dann sozusagen in diese komplizierten Netzwerke „eingebrochen", wodurch die authentische Wahrnehmung gestört wird (indem objektivierend auf die verkehrten Signale geachtet wird), und wodurch das Muskel-Skelett-System kinetisch verkehrt gebraucht wird, obwohl inzwischen die (meist unbewusste) Unsicherheit den Stressapparat in chronische Alarmbereitschaft hält. Auf diese Weise entstehen vielförmige somatische Zerrüttungen, sich ineinander immer verstärkende Teufelskreise. Elemente darin sind: dysfunktionelle Muskelspannungen, ein dysfunktionelle Stand der Skelettsegmenten, Anomalien des Gewebes, autonome Reaktionen darauf, gestörte zerebrale Netzwerke, Hormonelle Deregulierung (wobei eine gestörte Endorphinen -Regulierung möglicherweise wichtig ist). Diese Effekten der somatischen Zerrüttung sind funktionell sehr eingreifend, aber von der Struktur her normalerweise zu klein, um von der medizinischen Diagnostik mittels der gewöhnlichen Apparatur oder der chemischen Analyse wahrgenommen zu werden. In Termen der Nosologie ist dann „nichts zu finden" und es folgt oft, bei Mangel an besserem, die Diagnose „psychosomatische Erkrankung" mit allen damit verbundenen dualistischen Interpretationen.

Der Therapeut der HBF hat gelernt, an den Reaktionen des Gewebes und der Skelettsegmenten, durch taktile Kommunikationsformen die Effekte einer persistierenden exzentrischen Positionalität wahrzunehmen. Es sollte deutlich sein, dass die Therapie sich dann primär auf die exzentrische Positionalität zu richten hat und also auf das Wiederherstellen der Möglichkeit des Funktionierens in einer zentrischen Positionalität.

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